Absolvent im Porträt: „Vieles aus meinem Studium wende ich bis heute täglich an“
Albstadt/Sigmaringen. Als Florian Tyrs vor 16 Jahren zwei Semester als Werkstudent bei der Firma JOTEC in Hechingen verbringt, lässt er sich zwei Dinge nicht träumen: dass aus dem Medizintechnikunternehmen mit knapp 50 Mitarbeitern einmal eines mit 570 wird – Tendenz steigend. Und dass er selbst eines Tages einer von zwei Geschäftsführern in dem Unternehmen sein wird, das erfolgreich mit minimalinvasiven Implantaten für die Gefäßchirurgie auf dem Markt ist.
Der heute 39-Jährige studiert von 2001 bis 2006 an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen Pharmatechnik – damals noch auf Diplom. „Ich hatte am technischen Gymnasium in Balingen die Hauptfächer Chemie und Maschinenbau“, berichtet er. „Pharmatechnik war der perfekte Studiengang für mich, da er genau diese Bereiche kombiniert.“ Außerdem sei ihm wichtig gewesen, als Studierender an der Hochschule keine Nummer zu sein: „In Sigmaringen ist der Draht zu den Professoren und Mitarbeitern immer da, die Wege sind kurz.“
Noch während Florian Tyrs seine Abschlussarbeit schreibt, wird er zu JOTEC auf einen Kaffee eingeladen – vom damaligen Geschäftsführer Thomas Bogenschütz und dem langjährigen Entwicklungsleiter Peter Barthold, mit dem er sich heute die Geschäftsführung teilt. „Aus dem Kaffeetrinken wurde irgendwie ein Bewerbungsgespräch und daraus ein Jobangebot, für das ich nicht mal eine Bewerbung geschrieben hatte. Da war mir klar, dass ich so eine Chance nicht zweimal bekomme.“
Die Implantate sind von Hand gefertigte Textilprodukte
Nach seinem Studienabschluss beginnt Florian Tyrs im Frühjahr 2006 als Entwicklungsingenieur bei JOTEC. 2011 übernimmt er die Produktionsleitung und wird 2017 nach der Übernahme durch die US-amerikanische Firma CryoLife Director Operations für die Bereiche Technik, Produktion und Gebäude – und heute leitet er das Unternehmen. Diese Karriere verdankt er nicht zuletzt seinem Studium in Sigmaringen, davon ist er überzeugt: „Von der Qualitätssicherung über die Fabrik- und Maschinenplanung bis zu kompletten Dokumentationen, das alles habe ich im Studium gelernt und wende es bis heute tagtäglich an.“
Was indes kaum niemand weiß: Die Implantate von JOTEC sind von Hand gefertigte Textilprodukte, im Reinraum in Hechingen stehen Webmaschinen. „Seit 2012 stellen wir patientenspezifische Lösungen her, das ist unsere Formel 1“, sagt Florian Tyrs. Die mit enormem Personalaufwand verbunden sei, „allein 2019 haben wir 30 Näherinnen eingestellt“. Dieses Jahr sollten eigentlich weitere 35 dazu kommen, doch stattdessen kam Corona. „Da wir keine Vorstellungsgespräche führen konnten, hatten wir einen zwangsweisen Einstellungsstopp.“ Für das Unternehmen sei die Coronakrise aber trotzdem „beinahe ein Segen“ gewesen, wie er sagt. „Wir haben die Zeit genutzt, um unsere Lager zu füllen – wir kommen mit der Produktion kaum noch hinterher.“
„Die umliegende Industrie sucht händeringend Abgänger“
Dr. Karsten Köhler ist heute Professor im Studiengang Pharmatechnik und begeistert davon, welche Karrieren viele Absolventen machen. „Am Beispiel von Florian Tyrs sieht man schön, wie vielfältig die Tätigkeiten sind, zu denen man sich mit dem Studium qualifiziert“, sagt er. „Die umliegende Industrie sucht händeringend Abgänger – vom klassischen Maschinenbau über die Medizintechnik bis hin zur pharmazeutischen Industrie.“ Und gerade in der Coronazeit zeige sich, dass der Süden Deutschlands durch „die Innovationskraft der Industrie in Kombination mit starken Hochschulen attraktive und spannende Arbeitsplätze sichert“.