Porträt: Früherer FIFA-Schiedsrichter hat an der Hochschule Maschinenbau studiert
Albstadt/Sigmaringen. 244 Bundesligaspiele hat er geleitet, 127 Zweitligaspiele, dazu etliche in Champions League und DFB-Pokal sowie unzählige weitere in den niedrigeren Klassen: Knut Kircher hat als Fußballschiedsrichter eine beeindruckende Bilanz vorzuweisen. Seine sportlichen Wurzeln hat der heute 50-Jährige beim TSV Hirschau in Tübingen – seine beruflichen an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen. Dort hat Knut Kircher in den späten 80er-Jahren als einer der Ersten Maschinenbau studiert.
Aus Albstadt kommt zunächst eine Absage
Um sich etwas dazuzuverdienen, arbeitet Knut Kircher als Schüler samstags in einer Fabrik, die Dreh-, Fräs- und Schleifteile macht; so entsteht die Affinität zum Maschinenbau. Er bewirbt sich an etlichen Fachhochschulen, bekommt aus ganz Baden-Württemberg aber nur Absagen – auch aus Albstadt. „Das Fach war damals wahnsinnig überlaufen, das ging nur über Wartezeiten oder richtig gute Noten.“ Doch dann die gute Nachricht: Er bekommt doch noch einen Platz in Albstadt, als Nachrücker.
Die Schiedsrichterei läuft damals längst nebenbei. Kreis- und Bezirksliga pfeift Knut Kircher, dann geht es noch während des Studiums in die Landesliga, in die Verbandsliga und schließlich gegen Ende des Studiums in die Oberliga.
Seine Diplomarbeit schreibt Knut Kircher bei der Firma Trumpf in Ditzingen und bleibt dort fünf Jahre lang, bevor er zu Daimler in Sindelfingen wechselt, wo er bis heute arbeitet. Parallel der Marsch durch die Ligen: 2001 pfeift Knut Kircher in der Bundesliga und ist bereits 2004 auf der internationalen Liste. Jetzt ist er weltweit unterwegs.
Zwischen dem Beruf und der Schiedsrichterei sieht er einige Parallelen
„Ich habe in drei Welten gelebt“, sagt er – Privatwelt, Berufswelt, Schiedsrichterwelt. Drei kleine Söhne hat er inzwischen, dazu den verantwortungsvollen Job und einen vollen Fußballkalender: In einer Saison pfeift Knut Kircher auch mal 60 bis 70 Spiele. „Es gibt Phasen, da ist an den Wochenenden nichts, aber dann gibt es wieder englische Wochen oder Vorbereitungsspiele unter der Woche. Da kommt schnell einiges zusammen.“
Zwischen seinem Beruf und der Schiedsrichterei sieht er heute viele Parallelen. „Beides ist ein Prozess. Man steigt in den Ligen auf, das geht nicht von heute auf morgen, und so wächst man auch in die Dimension der Stadien hinein.“ Nebenher reife die Persönlichkeit, die Lebenserfahrung kommt dazu. „So ähnlich ist es auch im Beruf.“
Bei Daimler ist Knut Kircher mit seinem Team für die Entwicklung der Dachöffnungssysteme zuständig, also die Panoramaglasdächer und Schiebehebedächer der Pkw-Sparte. „Das ist hochspannend, denn wir haben bereits in einer frühen Phase erste Prototypen unserer Komponenten, bauen sie in Vorgängerfahrzeuge ein, gehen in der Welt auf Erprobungsstrecken.“ Dann wird das Produkt irgendwann ins richtige Fahrzeug eingebaut, und wieder geht es hinaus in die Welt. „Im Grunde genommen bin ich reisetechnisch jetzt nicht schlechter dran als früher als Schiedsrichter, weil wir in der halben Welt Produktionswerke und Lieferanten haben“, sagt er. „So ist man immer irgendwo unterwegs, kommt raus, hat viel mit Menschen und der Technik zu tun und kann sein Produkt von der ersten Konzeption bis hin zum Einsatz im Fahrzeug begleiten. Für einen Ingenieur ist das aus meiner Sicht phantastisch.“ Das Rüstzeug dafür hat er in Albstadt bekommen.
Mit den Weltstars ist es auf dem Platz oft leichter als mit Newcomern
Auf dem Platz eilt Knut Kircher all die Jahre sein hervorragender Ruf voraus. Seine natürliche Autorität einerseits und seine Kommunikationsstärke andererseits gelten als beispiellos. Er selbst spielt das natürlich bescheiden herunter. „Ich wollte halt immer schnellstmöglich eine emotionale Bindung hinbekommen, auch durch ein bisschen Quatschen über vermeintlich harmlose Dinge auf dem Platz“, sagt er. Aber genau die ermöglichen ihm eben häufig den Zugang zu den Menschen, mit denen er es während des Spiels zu tun hat. Auch zu Weltstars wie Messi, Kroos oder Ronaldo? „Mit den sogenannten Granden der Branche war es komischerweise immer besonders einfach“, sagt Knut Kircher. „Denn die wollen nichts anderes als einen behüteten und geschützten Raum, um ihre Fußballkunst zu zelebrieren. Lass denen die Leitplanken, und du hast Spaß mit ihnen.“
Es seien eher die Newcomer, die noch ihre Grenzen testen wollten. „Da muss man klare Grenzen ziehen. Doch das lernt man“, sagt Knut Kircher. „Von daher ist es dann auch völlig egal, wer vor einem steht.“ Sein Ziel sei es immer gewesen, in seinen Entscheidungen akzeptiert und respektiert zu werden und nicht, am Ende der Saison zum beliebtesten Schiedsrichter gewählt zu werden – auch wenn das ab und an vorkam.
Positive Erinnerungen ans Studium
2016 endet Knut Kirchers Zeit als aktiver Schiedsrichter, als er die Altersgrenze von 47 Jahren erreicht. „Ich habe viele andere Kulturen und Länder kennengelernt, habe viele Dinge gesehen und bin vielen Menschen begegnet – es ist keine Wehmut dabei“, sagt er. „Es bleiben die positiven Erinnerungen und Erlebnisse.“
Das gilt auch für sein Studium: „Immer, wenn ich mal durch Albstadt komme, blicke ich zurück.“ Eine schöne Zeit sei es gewesen, in der er viel gesehen und erlebt habe. „Viele Freundschaften, die damals entstanden sind, halten bis heute. Das Studium war wie ein geschützter Raum, um sich auszuprobieren und zu entwickeln.“ Ebenfalls positiv in Erinnerung: „Albstadt ist ja mehr als nur Maschinenbau“, sagt Knut Kircher. „Es gab auf Studentenpartys immer auch Begegnungen mit Kommilitonen aus den anderen Fakultäten, und natürlich auch zu den Damen aus der Maschenkonfektionstechnik.“ Er lächelt verschmitzt.
Wenn Knut Kircher heute Bewerbungen für Praktikumsplätze oder Praxissemester bekommt und liest, dass der- oder diejenige an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen studiert, freut er sich. „Und manchmal treffe ich sogar frühere Kommilitonen im Job wieder.“