Studentin untersucht das Essverhalten autistischer Menschen
Albstadt/Sigmaringen. Essen Autisten eigentlich immer dasselbe? Wie sieht das perfekte Restaurant für Autisten aus? Was können Eltern tun, wenn ihr autistisches Kind kein Obst und Gemüse mag? Diesen und weiteren Fragen ist eine Studentin der Hochschule Albstadt-Sigmaringen für ihre Bachelorarbeit beim Magazin „autismus verstehen“auf den Grund gegangen. Sarah Geiselhart (Studiengang Lebensmittel, Ernährung, Hygiene) betrat für ihre Studie weitgehend wissenschaftliches Neuland und befragte 18 erwachsene Autisten sowie die Eltern von 30 autistischen Kindern und Jugendlichen zu deren Essverhalten.
„Es gibt nicht das autistische Essverhalten, so wie es nicht den Autisten gibt“, sagt Sarah Geiselhart, die selbst Autistin ist und bereits zum zweiten Mal für das Magazin schreibt – in ihrer von Prof. Dr. Gertrud Winkler betreuten Bachelorarbeit verbindet sie ihre persönlichen Interessen mit ihrem Studium. „An Ernährungsbesonderheiten gibt es bei Autisten eigentlich nichts, was es nicht gibt.“ Der Großteil der Auffälligkeiten im Essverhalten sei auf die besondere Wahrnehmungsverarbeitung autistischer Menschen zurückzuführen: „Hier machen sich Über- und Unterempfindlichkeiten der fünf Sinne sowie der Körperwahrnehmung bemerkbar.“
Wie Sarah Geiselharts Studie ergab, dürfen sich beispielsweise intensiv riechende Speisen wie Käse, Zwiebeln, Knoblauch oder Fisch in einigen Haushalten mit autistischen Personen nicht auf dem Esstisch befinden. Bei einem Autisten sei die Geruchsempfindlichkeit so stark ausgeprägt, dass er in seinem Kühlschrank ausschließlich Getränke lagert. „Einige Autisten haben wiederum Unterempfindlichkeiten des Geschmackssinns, was zur Folge haben kann, dass süße Speisen mit zusätzlichem Zucker nachgesüßt werden müssen.“
Auch Temperaturen würden von Autisten oft anders wahrgenommen: Ein autistisches Kind esse beispielsweise unter anderem bevorzugt Eiswürfel und gefrorene Himbeeren, während ein erwachsener Autist berichtet, er habe als Kind nur warme, aus Fleisch und einer stärkereichen Beilage bestehende Gerichte gegessen. Ähnlich verhält sich das bei der Konsistenz von Lebensmitteln: Mehrere Eltern gaben an, dass ihr Kind ausschließlich weiche Speisen esse. Ein sechsjähriger Junge hingegen bevorzuge kalte, feste, trockene Speisen, die phasenweise alle sechs bis zwölf Monate wechseln. „Darüber hinaus gibt es Autisten, die kein Hunger- oder Durstgefühl haben und deshalb regelmäßig ans Essen oder Trinken erinnert werden müssen.“
Für Sarah Geiselhart waren die Interviews mit den erwachsenen Autisten eine spannende Erfahrung. „Einige Interviewpartner hatten sich zuvor bei ihren Eltern extra über ihr Essverhalten als Kind erkundigt und konnten interessante Anekdoten erzählen.“
Für die Eltern autistischer Kinder kommt Sarah Geiselhart zu einem beruhigenden Ergebnis: „Bei den meisten Autisten wird die Essensauswahl mit zunehmendem Alter vielfältiger. Sie möchten auch zur Gemeinschaft dazugehören und das Gleiche wie alle anderen essen.“ Dass Autisten im Erwachsenenalter ihre Essensauswahl in einer ungesunden Weise weiter einschränken, komme fast ausschließlich bei denjenigen vor, die als Kind gezwungen wurden, bestimmte Speisen zu essen. „Diese Lebensmittel werden dann mit dieser negativen Erfahrung verknüpft und deshalb nicht mehr gern gegessen. Dann haben Eltern das Gegenteil von dem erreicht, was sie eigentlich wollten“, sagt Sarah Geiselhart.
Ein ausführlicher Artikel von Sarah Geiselhart erscheint im März 2022 im Magazin „autismus verstehen“.